Schmerzen

Ein Viertel der deutschen Bevölkerung leidet laut der deutschen Schmerzliga unter chronischen Schmerzen. Etwa fünf Millionen davon sind stark beeinträchtigt. Behandlungsstrategien verfolgen immer noch viel zu häufig alte Ansätze, obwohl Schmerz ein komplexes Phänomen ist. Erst allmählich setzen sich neue Strategien gegen alte Dogmen und Glaubensvorstellungen durch.

Was ist Schmerz?

Bisher ging man davon aus, dass dort, wo der Schmerz sich befindet, also zum Beispiel im linken Kniegelenk oder im Bauch oder Rücken, etwas nicht in Ordnung ist. Dieser Vorstellung folgend, wurden dann Röntgenaufnahmen, Ultraschall etc. dort zur näheren Diagnostik vorgenommen. In vielen Fällen findet sich dort auch ein „Schaden“. So zum Beispiel eine Arthrose oder ein eingerissener Bandscheibenring. Daraufhin wird die Therapie dann auf diesen Bereich konzentriert. Es wird gedehnt, Muskeln trainiert, Einlagen getragen, Salben aufgetragen oder natürlich auch operiert. Ganz nach dem Motto, da wo’s wehtut, muss was getan werden. Siehe dazu auch Schon Schmerzmittel genommen?

Das ist leider nicht (immer) so! Genau genommen sind etwa zwei Drittel aller Schmerzen nicht dem Schaden zuzuordnen. Konkret bedeutet das, es ist zwar ein Meniskus im Knie oder eine Bandscheibe im Rücken eingerissen, aber der Schmerzreiz kommt nicht von dort.

Woher kommt der Schmerz?

Schmerz ist nichts anderes als eine Einschätzung unseres Gehirns, darüber, ob sich unser Körper in einer Gefahrensituation befindet oder nicht. Über unsere Sinne wie Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken, Riechen nehmen wir Informationen war. Diese Informationen werden an unser Gehirn weitergeleitet. Das Gehirn trifft dann aufgrund der Datenqualität, die es erhält, eine Einschätzung darüber, ob es sich um eine potenzielle Gefahr handelt oder nicht. Dabei gilt die Regel, je besser und klarer die eingehenden Informationen der Sinnesorgane, desto weniger bedrohlich ordnet das Gehirn die Gefahr ein. 
Nach seiner Beurteilung über die Gefahr oder nicht Gefahr sendet das Gehirn seine Einschätzung an die Zielorgane zurück. Das bedeutet für unsere Beispiele Knie und Rücken, das bei Gefahr eine erhöhte Sinneswahrnehmung besteht, ein erhöhter Muskeltonus auftritt, …

Warum bin ich nicht schmerzfrei?

Das einzige Ziel aus Sicht unseres Gehirns ist es dadurch uns und insbesondere das Gebiet, aus dem unklare Informationen kommen – also Knie und Rücken in unserem Beispiel – zu schützen. Eine erhöhte Wahrnehmung lässt eine schnelle Reaktion zu. Eine erhöhte Muskelspannung sorgt für mehr Schutz. Ursächlich dabei ist aber nicht der lädierte Meniskus oder die Bandscheibe, sondern die unklaren Informationen aus diesem Gebiet. Derjenige bewegt sich vielleicht grundsätzlich zu wenig und das Gehirn bekommt zu wenig Informationen aus dem Körper. Daraufhin entscheidet es zu unserer Sicherheit, lieber einen Bereich sensibler zu machen und damit zu schützen.

Es könnte aber auch eine Übersäuerung des Gewebes sein, weil die einer ungesunden Ernährung zugrunde liegt. Feine Rezeptoren messen beständig den pH-Wert im Gewebe. Verändert der sich über einen kritischen Punkt hinaus, ordnet das Gehirn wieder eine Gefahrenlage an. Dabei dienen Rezeptoren als Gefahrenmelder. Ähnlich einem Tsunami Wahnsystem, werden sie nacheinander angeschaltet. Je mehr, desto sensibler der Bereich, was wir als Schmerz wahrnehmen.

Schmerzen auf dem Röntgenbild?

Aber der „Schaden“ verursacht doch den Schmerz!

Nicht zwangsweise! Wie oben bereits erwähnt, sind die meisten Schmerzen nicht ursächlich mit dem vorliegenden Schaden in Zusammenhang zu bringen. Der sichtbare Schaden des Gewebes (z. B. Meniskus, Bandscheibe,…) ist eine Folge seiner Nutzung oder eben nicht Nutzung. Es gibt mittlerweile unzählige wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen konnten, dass beispielsweise Patienten mit Rückenschmerzen keinerlei Zusammenhang aufweisen zu den im MRT sichtbaren Befunden. Jemand mit gleich mehreren Bandscheibenvorfällen kann überhaupt keine Beschwerden haben, während jemand mit nur einer leichten Bandscheibenvorwölbung schon deutliche Beschwerden hat. Gleiche Ergebnisse gibt es für sämtliche anderen Körperbereiche wie Knie, Hüfte etc.

Wie werde ich Schmerzen endlich los?

Ziel sollte es sein, deinem Gehirn eine bessere Informationslage zu geben. Dabei helfen Körper- und Atemübungen. Auch die Psyche spielt eine Rolle. Wer Angst hat sein Knie zu belasten, wird das nicht tun. In Folge dessen bewegt er sich weniger und schont es. Dadurch registriert das Gehirn wieder „Oh, anscheinend stimmt dort etwas nicht – ich sorge mal für mehr Schutz und mache das ganze sensibler.  Auch wie der Mensch sich ernährt, hat Einfluss. Je nach Ursache der Gefahrenlage kannst du dann gezielt vorgehen. Dabei sind Ergebnisse sofort feststellbar! Ja, du hast richtig gelesen. Ob eine Übung einen positiven Effekt hat oder nicht, ist sofort nahvollziehbar. Unser Nervensystem reagiert ist Realtime. Wichtig zu verstehen ist, dass du selbst aktiv werden kannst und solltest. Nur weil ein Bild einen „Schaden“ zeigt, ist es nicht die Ursache für deine Schmerzen.

Wie ein Klient sofort schmerzfrei wurde

Beispiel:
Ein Klient leidet bei Autofahrten länger als 15 Minuten unter Nackenschmerzen und Kopfschmerzen, die dann häufig in Übelkeit übergehen. Versucht er seinen Kopf zu drehen, fühlt sich die Bewegung steif an und die Drehung ist eingeschränkt.
Wir identifizieren ein Problem seiner Augen zwischen Nah- und Fernsicht gut wechseln zu können. Dazu führt er diese Augenbewegungen einige Male aus. Nach 30 Sekunden testen wir erneut. Die Bewegung ist vollständig möglich und fühlt sich kaum noch steif an.
In der Folge übt er diese Bewegung in verschiedenen Varianten. Nach zwei Wochen sind die Beschwerden bei wiederholten Autofahrten von bis zu vier Stunden nicht mehr aufgetreten.

Schmerzen loswerden ist möglich!

Abschließend lässt sich sagen, das passive Maßnahmen wie Massagen, Medikamente und klassisches Muskel und Körpertraining seine Berechtigung hat, jedoch meist im falschen Kontext angewendet wird. Wenn unsere Sinne über das Nervensystem unseren Körper steuern, dann macht es wenig Sinn, einen Großteil der Therapie über Muskelaufbau, Dehnübungen, Medikamente, passive manuelle Therapien usw. zu gestalten. Vielmehr sollten wir unser Nervensystem mit gezielten Reizen trainieren und den verbesserten Output unseres Gehirns dann in aktives Training umsetzen. Obwohl die angewandte funktionelle Neurologie schon lange in seiner Grundlage bspw. in der Physiotherapie bekannt ist, setzt sich das „Neurozentrierte Training“ und „Neuroathletische Training“ immer mehr durch.